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Motivation running.COACH

Léonie von Tavel – running.COACH Teammitglied (6)

Tag X
Und plötzlich war er da: der Tag X. Wie lange hatte ich darauf trainiert, diesem Tag entgegengefiebert, war nervös gewesen, schwankte zwischen freuen und sorgen, ob denn das wirklich geht. Mein Ziel: Unter 2 Stunden zu laufen, also klassiert und nicht vom Besenwagen eingesammelt zu  werden am 34. Grand Prix von Bern. Der running.COACH gab mir eine Zeit von 1:56 vor. Meine Startzeit: 16:46 im Block 27. Um mich auf diese Lauf-Tageszeit etwas vorzubereiten (es entsprich überhaupt nicht meiner Lieblings-Tageszeit), absolvierte ich alle meine Trainings in den letzten 2 Wochen davor jeweils in den frühen Abendstunden.

Eine gute Vorbereitung ist die halbe Miete

Vor dem Start
Da meine beiden Jungs am Bären-GP starteten und somit bereits am Mittag ihre Meile liefen, waren wir en famille bereits um 12 auf dem GP-bzw. BEA-Expo-Gelände. Es galt, die Jungs gut auf die Strecke zu schicken und im Ziel wieder zu finden. In diesem Riesen-Rummel nicht ganz einfach. Aber es klappte alles und die Jungs machten es bei den Teddies bzw. Pandas trotz Sturz super!
Die 3 verbleibenden Stunden bis zu meinem Start verbrachten wir dann so ruhig als möglich und mit dosierter Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme meinerseits. Das violette Sofa am running.COACH-Stand verhalf mir, mich im ganzen Rummel etwas ruhig zu halten und erst noch die Beine hochlagern zu können.
Nach einer Aufwärmrunde begab ich mich pünktlich um 16:30 in den Block 27. Und dann ging es unaufhaltsam Richtung Start.

Léonie am GP 2015 in der Matte, aufgenommen von der Kirchenfeldbrücke

GP mit MS
Los ging es in einem Tempo, das mir zusagte, aber leider nur auf den ersten Kilometern. Schon sehr bald musste ich mich enorm auf die Bodenbeschaffenheiten konzentrieren, um nicht zu straucheln. Unglaublich, wie unterschiedlich diese Unterlagen sind während dieser 10 Meilen. Von den Bsetzisteinen (Pflastersteinen) über die unebenen Asphaltbeläge in der Matte und entlang der Aare mit allen Randsteinen und Senklöchern, den aufgeweichten Waldwegen im Dählhölzli und zur Krönung der blaue Belag auf dem Bundesplatz, auf dem ich vom Gefühl her fast haften blieb. Mein rechtes Bein meldet sich bereits in der Matte unten mit Ermüdungserscheinungen, so dass ich mich extrem auf die Steuerung desselben konzentrieren musste. Vergass ich es, strauchelte ich im nächsten Moment. Mein „Rucksack Multiple Sklerose“ meldete sich unüberfühlbar. So gelang es mir auch nie, mich etwas umzusehen oder über etwas nachzudenken und dabei „einfach“ zu rennen bzw. „abzuheben und zu geniessen.“ Ich war während der knappen 2 Stunden voll mit mir bzw. meinem Körper beschäftigt. Und der sagte spätestens am Thunplatz, also in der Hälfte, nach diesem elenden  Aufstieg über die Jubiläumsstrasse,  dass es eigentlich reichte. Ab da war es nur noch eine Kopfsache. Und mein Kopf gab nicht nach. „Aufgeben ist keine Option“ heisst es in einer MS-Campagne. Und genau das galt auch für meinen Lauf.  Ich wurde zusehends langsamer, so dass ich mir vor dem Bundesplatz eingestand, dass ich zwar fertig rennen würde, aber wohl mehr als 2 Stunden dafür brauchte. Also rannte ich weiter, so wie ich es noch vermochte. Ich wusste, dass an der Gerechtigkeitsgasse 3 Menschen mit mir mitfieberten. Und am Bärengraben angekommen, hatte ich noch 15 Minuten und den besten Fanclub, den es gibt.

Nach dem Bärengraben geht es noch den Aargauerstalden hoch

Meine Fanclubs
An der Gerechtigkeitsgasse schauten meine Eltern und eine Freundin dem GP-Treiben zu und freuten sich, als sie mich Hochrennen sahen. Eineinhalb Stunden später machte ich wohl einen sehr schitteren Eindruck, und sie litten mit mir mit (späteres Telefongespräch mit meinem Vater). Mich freute es aber sehr, dass sie rechtzeitig am Fenster waren und mir winkten. Ebenso die Nachbarn, die mich plötzlich am Bundesplatz aus dem Publikum anfeuerten.
Meine drei Jungs tauchten über die ganze Strecke immer wieder unerwartet auf und feuerten mich an. Das erste Mal am Zytglogge, dann am Thunplatz und am Bärengraben. Dort rannten sie mit mir den ganzen Aargauerstalden hoch und machten mir klar, dass es wirklich reichen würde, wenn ich mich jetzt nicht aufgab. Und das half so was von sehr. Und auch die Leute auf der Strasse feuerten mich an und irgendeine Musik spielte „we are the champions“ von Queen und so rannte ich also noch die Laubeggstrasse hoch und die Bolligenalle entlang (Teil meines Schulwegs).

Am Ziel
Und ich rannte gegen die Zeit. Und verzweifelte fast, weil ich das Ziel nicht sah. Und dann war es plötzlich da und ich durch. In einer Zeit von 1:57. Und ich wollte weinen wie jeweils Roger Federer nach einem Sieg, aber ich war wohl so ausgetrocknet (obwohl ich bei jeder Gelegenheit getrunken hatte!), dass keine Träne floss. Ich torkelte wie in einem Traum zu meinen Jungs (die schon wieder da waren!), die mir eine Welle machten, mich mit trockenen Kleidern versorgten, Essen und Trinken verabreichten und meine Beine dehnten. Mich total umsorgten. Unglaublich schön. Was will ich mehr?

Léonie erreicht das Ziel des Grand-Prix von Bern

Das Gefühl danach
Ich hab’s geschafft! Ich hab’s getan! Nein, so hat es sich komischerweise nicht angefühlt. Obwohl es so ist. Ich war einfach KO und wusste, dass ich meinen Körper arg strapaziert hatte. Glücklicherweise nicht überstrapaziert, denn am nächsten Tag konnte ich a.) laufen b.) quasi beschwerdefrei laufen. Toll! Der Aufwand dafür war aber gross gewesen, sehr gross sogar.

Nach dem Wettkampf ist vor dem Wettkampf

Das wirkliche „Gefühl danach“ macht sich erst langsam breit: Es liegt (viel) mehr drin, als ich dachte. Das ist grandios! Trotz Rucksack. Der kann mich andererseits jederzeit ausbremsen, das weiss ich.

Und das nächste Ziel?
Die Ladies-Days mit dem Ryffel-Running-Team über Auffahrt auf der Lenzerheide. Dann sehen wir weiter. Ideen habe ich jedenfalls bereits wieder in meinem Kopf.

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