Matthias Kyburz, achtfacher Orientierungslauf-Weltmeister, stellte sich einer neuen Herausforderung: dem Marathon. Innerhalb von nur vier Monaten bereitete er sich auf sein Marathon-Debut vor. In diesem Blogbeitrag erfährst du, wie das Projekt zustande gekommen ist und welche Herausforderungen dem Marathon-Neuling auf seiner Reise begegnet sind.
Die Idee
„02:08:10!“
„Luegs ah. Du weisch jo, I bi für so gspäss scho z ha.“
Übersetzt aus dem Schweizerdeutschen: „Ich werde es anschauen. Du weisst ja, ich bin für solche Spässe schon zu haben.“
Das war, wenn man es denn so nennen darf, die „Konversation“, welche das Projekt Olympiamarathon für Matthias Kyburz ins Rollen brachte. Die erste Nachricht stammte von Stefan Lombriser, Geschäftsführer von running.COACH und langjähriger Freund von Kyburz. Der achtfache Orientierungslauf-Weltmeister Kyburz brauchte keine Erklärung, um zu wissen, was die kryptische Zeitangabe zu bedeuten hatte. Dafür kennt er einerseits Lombriser zu gut und andererseits war ihm die Idee, die Marathon-Olympialimite anzupeilen, nicht fremd. Schon mehrmals hatte ihn Peter Züst, Verbandsarzt von Swiss Orienteering, anlässlich regelmässig durchgeführter Leistungstest darauf hingewiesen, dass er mit seinen erzielten Werten ausgezeichnetes Potenzial für die Marathondistanz aufweise. Die Gewissheit für diese Aussage stammte daher, dass Züst auch regelmässig die Leistungstests der Schweizer Marathon-Elite (unter anderem auch von Viktor Röthlin) durchführt.
Das Netzwerk
Die einleitende Konversation schimmerte kurz vor Weihnachten 2023 über die Telefongeräte von Kyburz und Lombriser. Bis zum Olympiamarathon waren es damals noch knapp acht Monate. Das alleine ist schon nicht sehr viel Zeit, um einen zwar sehr gut trainierten, aber auf die falsche Sportart eingestellten Körper, auf die lange und monotone Belastung der Marathondistanz umzugewöhnen. Da aber zuvor auch die Limite gelaufen werden musste, halbierte sich die Vorbereitungszeit. Kyburz hatte entsprechend vier Monate Zeit, um seine Beine hinsichtlich des Marathon-Debuts auf eine Zeit von 02:08:10 zu trimmen – ein Schnitt von 03:02 min / km.
Guter Rat war gefragt. Gefunden wurde dieser in der Person von Viktor Röthlin, dem Marathon Europameister von 2010 und (damaligen) Verwaltungsratspräsident von running.COACH. In einem ersten Schritt wurde der Algorithmus von running.COACH mit Kyburz‘ Leistungsdaten gefüttert, um so ein Grundgerüst für das Training zu erstellen. Da es im Fall von Kyburz primär darum ging, die gute Trainingsbasis auf lange Strecken zu adaptieren und den Körper an die mechanische Belastung zu gewöhnen, adaptierte Röthlin den Grundplan in einem zweiten Schritt, damit dieser genau den besonderen Anforderungen von Kyburz entsprach.
Das Training
(Auszug aus diesem Blogbeitrag zum Trainingsprogramm)
Die Unterschiede zwischen Marathon und Orientierungslauf gehen weit über die Muskelarbeit hinaus und erstrecken sich auch auf den Stoffwechsel. Marathonläufer setzen auf eine effiziente Energienutzung, um lange Strecken bei gleichbleibender Intensität zu bewältigen. Orientierungsläufer hingegen müssen ihre Energie flexibler einsetzen. Je nach Wettkampfsituation und Distanz, die von 12 bis 100 Minuten variieren kann, wechseln sie zwischen aeroben und anaeroben Energiequellen. Diese Anpassungsfähigkeit ist essenziell, um den vielfältigen Herausforderungen des Geländes und den dynamischen Anforderungen des Rennens optimal begegnen zu können.
Für das Training von Kyburz bedeutete das konkret:
- Trainings vom Wald auf den Asphalt verlegen. Dies hilft, „unnötige“ Muskelmasse abzubauen und die Muskeln an die monotone Marathon-Bewegung sowie die stärkeren Belastungen des Bewegungsapparats zu gewöhnen.
- Die Fähigkeit entwickeln, Energie mit einem großen fettverbrennenden Anteil bei hoher Pace über eine lange Laufzeit effizient zu nutzen. Das bedeutet lange Trainings in Wettkampftempo, um die Energieversorgung durch Fettverbrennung zu optimieren.
Der Wechsel vom Orientierungs- zum Marathonläufer ist vergleichbar mit der Umschulung eines talentierten Jazzmusikers zum klassischen Pianisten innerhalb weniger Monate. Stoffwechsel und Muskeln müssen nicht mehr schnell zwischen verschiedenen „Rhythmen“ wechseln, sondern sich dem strengen und vorbestimmten Ablauf des Marathons anpassen.
Paris Marathon – 02:07:44
Der 7. April, der Tag an dem Matthias Kyburz in Paris sein Marathon-Debut absolvierte, ging als historischer Tag in die Geschichte der Schweizer Leichtathletik ein. Denn kein Schweizer Läufer ist je schneller in seine Marathon-Karriere gestartet, als Kyburz mit einer Zeit von 2:07:44. Zudem reihte er sich als drittbester Marathonläufer des Landes hinter Tadesse Abraham und Viktor Röthlin in die Bestenliste ein.
Natürlich war der Fricktaler mit diesem Ergebnis und dem Rennverlauf extrem zufrieden. Auch wenn er seine Pacemaker auch mal zurechtweisen musste, als diese das Tempo etwas zu schnell gestalteten.
Nach dem Ausstieg der Pacemaker ab Kilometer 30 wurde das Rennen deutlich anstrengender. Die fortschreitende Renndauer, schwierige Windverhältnisse entlang der Seine, Ansätze von Krämpfen in der linken Wade und eine anspruchsvolle Topographie auf dem Schlussteil der Strecke stellten große Herausforderungen dar. Diese Faktoren waren in der Renntaktik jedoch bereits einkalkuliert, sodass die leichte Verlangsamung der Pace im Schlussabschnitt die Olympia-Limite nicht mehr in Gefahr bringen konnte.
Der Olympia-Marathon
Am 10. August wird Kyburz noch einmal in Paris am Start stehen. Die gleiche Stadt, wie bei seinem Debut – jedoch nicht die gleiche Strecke. Denn der Olympia-Marathon wird nicht auf derselben Runde wie der Paris Marathon ausgetragen. Dass die 42.195 Kilometer dann noch etwas mehr Höhenmeter und Rhythmuswechsel aufweisen wird ist sicherlich kein Nachteil für den einzigen Orientierungsläufer an der Startlinie. Und während in seinem ersten Paris-Einsatz die Zeit im Fokus stand, wird beim zweiten Einsatz eher der Rang und der olympische Gedanke im Vordergrund stehen.