Kategorien
Motivation

Wenn Haare zu Berge stehen

Warum überfällt uns beim Sport plötzlich eine Gänsehaut? Wie kann man sich dieses Phänomen erklären?

Gänsehaut
Hühner- oder Gänsehaut wird durch starke Emotionen ausgelöst

Die wortwörtliche Auferstehung der Hühnerhaut ist damit zu begründen, dass emotionalen Erlebnissen in unserer Gesellschaft viel Platz eingeräumt wird. Wer irgendwo Hühnerhaut bekommt, hat etwas Ungewöhnliches erlebt, hat etwas zu erzählen. Die Rede ist hier nicht von jenen Bedauernswerten, die frösteln oder kalt haben, auch nicht von Kinogängern, denen es angesichts eines Horrorfilms haarsträubend gruselt. Die Rede ist von jenen Hühnerhäuten, die in einem bewegenden Moment plötzlich auftreten, uns bei einem emotionalen Erlebnis unverhofft in Beschlag nehmen – unaufhaltsam, unkontrollierbar.
Doch warum bekommen wir in emotionalen Situationen eigentlich Hühnerhaut? Warum stellen sich unsere Körperhaare auf, wenn wir bestimmte Musik hören, wenn 50 000 Liverpooler Fans im Stadion an der Anfield Road «You ll never walk alone» singen oder gar schon, wenn wir über ein bewegendes Ereignis sprechen? Und was geschieht dann mit uns?
Mit solchen Fragen setzt sich der deutsche Emotionsforscher Christian Kaernbach schon seit Jahren auseinander. In seinem Labor für Emotionspsychologie in Kiel konfrontiert er Testpersonen immer wieder mit emotionalen Bildern und Musik und misst dabei Veränderungen im und am Körper. «Musik und Liebesfilme bewegen die Leute», hat Kaernbach festgestellt, «allerdings auf unterschiedliche Art.» Bei einer Testreihe mit 50 Personen und ausgewählten, emotionalen Filmszenen haben bloss 30 Prozent eine Hühnerhaut bekommen. «Hühnerhaut ist sehr individuell», so Kaernbach. Der eine reagiere beim Filmdrama «Titanic» sehr emotional, den anderen lasse es kalt. Die eine vergiesse bei einer Liebesszene literweise Tränen, die andere bleibe regungslos.

Vieles spielt sich im Kopf ab

Ebenso unterschiedlich seien die Ergebnisse, die durch Musik ausgelöst werden. «Ganz vieles, was zu einer Gänsehaut führt, spielt sich im Kopf ab», weiss Kaernbach. Er hat sich zur Aufgabe gemacht, diesem komplexen Phänomen auf die Spur zu kommen, in der Hoffnung, eines Tages erklären zu können, warum emotionale Momente Gänsehaut auslösen.
Das Quietschen von Kreide auf einer Wandtafel, das schrille Knistern von Styropor auf Holz: Da sträuben sich den meisten Menschen die Nackenhaare, und sie bekommen Hühnerhaut. Dieser Reflex ist uns seit grauer Vorzeit angeboren. Damals war der Mensch noch mit einem Pelz aus Haaren bedeckt. Wurde es kalt oder drohte Gefahr, stellten sich die Haare auf. Das half, weil das dadurch entstandene Luftpolster zwischen den Haaren vor Kälte schützte – und weil es abschreckend aussah.
Heute ist der dichte Pelz kleinen, fast unsichtbaren Härchen gewichen. Geblieben ist aber der winzige Muskel, der diese steuert. Er befindet sich an der Seite jedes Härchens – und zieht sich bei Kälte oder Erregung zusammen. Gesteuert werden die kleinen Muskeln vom sogenannten sympathischen Nervensystem, das wir mit unserem Willen nicht beeinflussen können. Dabei zieht der winzige Muskel die darüber liegende Haut ein klein wenig nach innen, und in der Haut entstehen dadurch kleine Dellen, die aussehen wie Miniaturkrater. Als Ganzes sieht die Haut dabei aus wie die eines gerupften Huhns, daher der Name Hühnerhaut.
Es gibt verschiedene Theorien, die durchaus schlüssig klingen, aber nicht alle Fragen ausräumen. Bei einer, der sogenannten Peak-Arousal-These, stellen sich die Härchen im Nacken oder den Armen bei höchster Erregung auf. Das Problem: Sie passt nicht zu allen Basis-Emotionen.
Der zweiten These zufolge hören sich in der Musik bestimmte Frequenzen oder Tonfolgen wie Schreie von Tierkindern an, die ihre Mutter verloren haben. Diese Laute verstärken das Trennungsgefühl, das Gefühl von sozialer Kälte, so die Überlegung. Die Reaktion auch auf nur emotional empfundene Kälte könnte also zur Gänsehaut führen.

Emotionen Masse
Die Gemeinsamkeit beim Laufen löst bisweilen Hühnerhaut aus

Faszination Sport

Und warum überfällt uns beim Sport plötzlich eine Gänsehaut? Beispielsweise wenn wir bei einem grossen Spiel im Stadion sind und unsere favorisierte Mannschaft kurz vor Spielende den entscheidenden Treffer erzielt? Oder wenn Tennis-Profi Stanislas Wawrinka in einem Grand-Slam-Turnier ein verloren geglaubtes Match noch auf wundersame Weise zu wenden vermag? «Das Empfinden, Teil eines ungewöhnlichen, vielleicht sogar geschichtsträchtigen Ereignisses zu sein, kann uns tief bewegen», sagt der Deutsche Eckart Altenmüller, einer der führenden Forscher auf dem Gebiet der Neurophysiologie und Neuropsychologie, «und es wirkt noch viel stärker, wenn wir selbst dabei sind, mitten drin in einer emotionsgeladenen Menschenmenge.»
Man muss allerdings nicht zwingend im Publikum stehen, um im Sport Hühnerhaut-Feeling zu erleben. Wer bei einem Lauf auf die Zielgerade einbiegt, und dann von Hunderten von Zuschauern, noch dazu von Familie, Freunden, Bekannten, mit Applaus empfangen wird, kennt das prickelnde Gefühl. Manchmal braucht es dafür nicht einmal Zuschauer. Vor allem bei grösseren Herausforderungen reicht allein schon das Erblicken des Ziels, des Zielbogens oder die Stimme des Speakers, um grosse Emotionen auszulösen.

Ehrfurcht vor der Natur

Nicht zu vergessen sind die Naturerlebnisse, die durch den Sport noch intensiver werden. Wer beim Gigathlon oder einem Triathlon bei Sonnenaufgang ins Wasser steigt, fröstelt oft nicht nur der Kälte wegen. Wer schon einen Bergmarathon bewältigt hat, kennt das Gefühl der Ehrfurcht vor den Naturgewalten, vor Wasserfällen, Gletschern, kantigen Felsgebilden, der Respekt vor majestätischen und imposanten Naturschönheiten. Wer beim Jungfrau-Marathon die letzten Kilometer am Fuss von Eiger, Mönch und Jungfrau in Angriff nimmt, ist der Demut gewiss näher als dem Hochmut. Und wer beim Inferno-Triathlon durch die Hölle musste, fühlt sich im Ziel dem Himmel ein Stück weit näher.
Vielleicht brauchen wir gar nicht zu wissen, was in jenen Momenten physiologisch passiert mit uns. Geniessen wir einfach dieses Gefühl, das sich manchmal nur mit einem Wort umschreiben lässt: Hühnerhaut-Feeling.

Naturerlebnis
Hühnerhaut-Feeling dank unvergesslicher Lauferlebnisse in der Natur

Dieser Blog wurde durch Fit for Life zur Verfügung gestellt. Fit for Life ist das Schweizer Magazin für Fitness, Lauf- und Ausdauersport. Möchtest du regelmässig solche Artikel lesen? Dann klicke hier.
fitforlife Logo

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.