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Rennbericht 100km von Biel – wie ich den Sieg erlebte (von Bernhard Eggenschwiler)

Biel, 12 Juni 2015 22 Uhr. Der Tag X war gekommen. Ich hatte grossen Respekt vor dieser Nacht. Vor dem Start noch ein kurzes Handshake mit den Konkurrenten. Ich wusste auch, die Konkurrenz (Boch, Vieux und Thallinger) ist auf dem Papier stärker als ich. Doch davon liess ich mich nicht beeindrucken. Auf 100km kann viel passieren. Und wie ich bereits aus dem Vorjahr erfahren hatte – das Favoritensterben in Biel ist gross. Ich hoffte natürlich, dass ich es bis ins Ziel schaffe. Das linke Knie hatte mir in den Vortagen noch Sorgen bereitet. Ich versuchte, es mittels Tape zu stabilisieren. Auf den letzten beiden Trainings bemerkte ich, dass die linke Kniescheibe etwas wackelte.

Vor dem Start war Bernhard voller Zuversicht
Vor dem Start wirkte ich zwar voller Zuversicht, war innerlich aber ziemlich angespannt

Startschuss zu einer Nachtschicht mit unbekanntem Ausgang. Sogleich zeigte sich der Vorjahressieger Michael Boch an der Spitze und liess den Abstand wachsen. Für mich so weit kein Problem, da kein weiterer Läufer von Anfang an dem starken Franzosen folgte. Ich liess mich mit einer 4:00–4:10er Pace bis km 6 ins Rennen gehen und lag bis zu diesem Zeitpunkt an zweiter Stelle. Meine Beine fühlten sich geschmeidig an – mental wusste ich, ich laufe mein Tempo. Dennoch war ich nicht überrascht, als mich bei km 6 und somit bei der ersten kleinen Steigung gleich eine rund 10-12 Mann starke Gruppe mit Vieux und Thallinger nicht nur ein-, sondern sogleich überholte. Ein Offizieller funkte, dass die Startnummer 2 nicht nur eingeholt, sondern sogleich überholt wurde. Das zu hören, waren keine good news und liessen mich ein wenig zweifeln. Dennoch war ich mir bewusst, das Rennen ist noch lange. Ich war in meinem Tempo unterwegs mit einer 5er Pace und sah, wie der Abstand zur Gruppe stetig wuchs.

Schon nach wenigen Kilometern machte sich Unsicherheit breit
Schon nach wenigen Kilometern machte sich Unsicherheit breit

War ich nun doch zu schnell ins Rennen gestartet? Musste ich nun für alles büssen? Jedenfalls war der Körper von dieser mentalen Krise ebenfalls befallen und die Beine liessen sich nicht mehr so locker bewegen wie zu Beginn. Da kamen Gedanken auf, ob ich etwas falsch gemacht habe beim Tapering während der letzten 2 Wochen – ob ich das Training zu stark reduzierte und nun die Form schon wieder weg war. Mit meinem Coach (Dan Uebersax) hatte ich noch vor dem Rennen darüber diskutiert, ob wieder eine ähnliche Krise wie im Vorjahr kommt – jedenfalls war klar, dass auf 100km jede Läuferin und jeder Läufer eine kritische Phase zu überstehen hat. Insbesondere mit dem Umstand, dass eine ganze Nacht durchgerannt wird und der natürliche Rhythmus gestört wird. So war bei mir die erste Krise bereits ab km 6 eingetreten. Nichtsdestotrotz versuchte ich mich mit dem Blick in den Himmel etwas abzulenken und hoffte auf baldige Besserung. Bei Km10-11 warteten meine beiden Betreuer (Dan Uebersax und Luzia Schmid vom Team Mega-joule.ch) und sagten, dass mein Tempo völlig in Ordnung war, und dass ich mir keine Sorgen machen sollte. Ich sprach das aus, was ich fühlte, dass es überhaupt nicht rund laufe und dass ich eventuell sogar aussteigen möchte. Alleine der Umstand, dass der Abstand zu den nächsten Läufern weiter wuchs, störte mich gewaltig. Ich sah die roten Lichter der Offiziellen in immer grösserer Distanz. Von Km 10 bis 16 war ich mit einer 4:20-4:30er Pace unterwegs – was zwar noch immer zügig, aber nicht meiner Wunschvorstellung entsprach.
In Aarberg (Foto – km16.6) freute ich mich auf die zahlreichen Zuschauer, und das liess wieder ein Lächeln auf meine Lippen zaubern. Danach bewegten sich meine Beine leichter, und ich bemerkte, dass ich wieder etwas zügiger unterwegs war. Der nächste Fixpunkt war km 22, wo die Velobegleitung (Luzia Schmid) auf mich wartete. Ich freute mich auf die Betreuerin, denn ganz alleine war ich etwas gefangen in meinen Gedanken. Der Abstand zum nächsten Läufer schrumpfte und das motivierte. Es waren die Gene des Jägers, die sich in mir aktivierten.

In Aarberg herrscht tolle Stimmung bei den Zuschauern
In Aarberg herrscht tolle Stimmung bei den Zuschauern

Noch bevor ich die Velobegleitung erreichte, überholte ich den ersten Läufer – und es liess Wunden heilen. Vielleicht war die Gruppe, welche mich zu Beginn überholt hatte, doch zu schnell unterwegs? Zumindest hatte ich den Eindruck, dass die Atemzüge der Überholten zu schnell waren. Mit der Velobegleitung konnte ich mich jederzeit mit Wasser und Cola verpflegen und musste die Gels nicht mehr runterschlucken ohne Magen-Beschwerden zu erhalten. Bis km 30 blühte ich langsam wieder auf. Die Steigungen, welche im Vorjahr noch meinen Rhythmus brachen, donnerte ich richtiggehend hoch.
Bis Km 38 sah ich wiederum die roten Lämpchen der Velobegleitung, jedoch rückten sie dieses Mal immer näher. Zwar kämpfte ich mit wiederkehrenden Magen-Krämpfen, jedoch überholte ich bis km 38 nochmals ein paar Läufer. Bei der Zwischenzeit lag ich dann an achter Stelle, was ich aber erst nach dem Lauf auf dem Diplom lesen konnte. Der Zwischenrang war bis zu diesem Zeitpunkt nicht von Interesse. Ich wollte eher wissen, ob ich den Anschluss an diese ursprüngliche Gruppe wieder herstellen konnte. Meine Betreuerin musste mich mehrmals bremsen, da ich durch meinen Betreuer erfahren hatte, dass ich nicht mehr weit von der nächsten Gruppe entfernt war, und ich Zeit gutmachen würde.
Die Wellen um km 40-47 drückte ich richtiggehend flach. Ich fühlte mich immer stärker und plötzlich sah ich die auf drei Mann geschrumpfte Gruppe mit Thallinger und Vieux vor mir. Mit einer Blitzaktion überholte ich diese sogleich und schaute nie mehr zurück. Durch meinen Energieanfall versuchte ich taktische Spielereien zu umgehen. Und dem war so. Über den Funk von den offiziellen Begleitern konnte ich in Erfahrung bringen, dass ich bei km 50 an zweiter Stelle lag. Das motivierte, aber den Abstand zur Spitze interessierte mich nicht. Stufenweise hatte ich mich wieder zurückgearbeitet, das Rennen anständig eingeteilt und konnte diese Gruppe sogar überholen. Wer hätte das gedacht?
Doch das war erst die Hälfte. Bei km 56.1 lag ich nun an 2er Stelle. Rückstand rund 4 Minuten. Das alles interessierte mich wenig. Es folgte der Emmen-Damm bis km 68, den Streckenteil, vor dem mein Respekt am grössten war. Dieser berüchtigte, enge und holprige „HoChiMinhPfad“ musste ich ohne meine Betreuerin absolvieren. Ein offizieller Velofahrer, ausgerüstet mit einem Autoscheinwerfer, leuchtete mir den Weg vor. So sprach ich während diesen Kilometern kein Wort und liess mein Tempo unbeeindruckt bei einer 4.05-4.10er Pace. Ich hörte nur meine Schritte und vom Velobetreuer das Rad ausrollen und wieder etwas treten – sonst waren da keine Geräusche. Je schneller ich diesen Abschnitt überstehen sollte, desto früher konnte ich wieder etwas trinken. Froh war ich, als ich nach dem Emmen-Damm endlich die Stirnlampe entsorgen konnte. Dummerweise war es anschliessend stockdunkel, da die Betreuerin noch kurz beim Verpflegungstand wartete, und der Offizielle sich wohl kurz verpflegte. Ich irrte in der Dunkelheit und ohne Licht über eine Brücke – aber schon bald war da wieder die Betreuerin. Geschafft.

Alleine durch die dunkle Nacht
Alleine durch die dunkle Nacht

Bald hörte ich, dass sich mein Abstand zum Führenden rasant verkleinere. Und schon waren die Fahrzeuge der Spitze in Sichtweite. Meine Betreuerin musste mich bremsen. Ab km70 konnte ich jeden Meter fühlen, der Abstand wurde kleiner und kleiner. Ich hatte Lunte gerochen. Das Schliessen der Lücke war nur noch eine Frage der Zeit. Irgendwo bei Km72-73 wurde der Jäger zum Gejagten. Keine einfache Situation, denn der Franzose Boch versuchte nochmals das Tempo zu erhöhen. Dem entgegnete ich mit meiner hohen Laufkadenz. Bei der nächsten Zwischenzeit bei km 76.7 und vor der letzten Steigung hatte ich rund 90 Sekunden Vorsprung. Wow, ich hatte diese Zwischenzeit als Erster passiert! Nun waren 2 Begleitfahrzeuge vor mir sowie ein Polizeifahrzeug.
Ich stellte mir die Frage: „Kann ich den Vorsprung bis ins Ziel durchbringen – oder kommt da ein weiterer Jäger von hinten?“ Voller Adrenalin flog ich die letzte Steigung hoch. Via Funk hörte ich, dass der Abstand zum Zweiten sich vergrösserte – weiter war der Abstand zum Dritten über 10 Minuten. Das beruhigte. Bis ins Ziel waren es jedoch nochmals 20km. Diesen Streckenabschnitt habe ich im April wegen der Streckenänderung besichtigt – und wusste was mich erwartete. Ich kühlte den Nacken und die Beine mehrmals mit Wasser in der letzten Phase und versuchte ruhig zu bleiben. Das Tempo konnte ich jetzt nicht mehr ganz hoch halten. Bei km 90 realisierte ich erstmals, dass ich eine super Zeit laufen kann – wenn ich das Tempo bis ins Ziel halte. Jedoch bemerkte ich die Strapazen – kein Wunder nach dieser Überholungsjagd. So war ich noch immer mit einer 4.15-4.30er Pace unterwegs. Mehr liess mein Körper nicht zu. Die letzten 10km zählte ich retour. Es war schon zäh.

100 Kilometer durch die Nacht von Biel
100 Kilometer durch die Nacht von Biel

Auf den letzten Kilometern tankte ich nochmals Cola und Gels und kühlte den Nacken und die Beine mit Wasser. Weiterhin keine Krämpfe – aber natürliche Ermüdungserscheinungen. Meine Betreuerin beruhigte mich weiterhin – runder Schritt – achte auf den Atem, super Leistung! Ich realisierte das alles noch lange nicht. Auch den Sieg nicht. Erst auf den letzten beiden Kilometern war ich den Tränen sehr nahe und blieb wortkarg. Und dann noch ein Kilometer– ich sah die letzten Kurven, durchquerte das Festzelt und war im Ziel angekommen nach sage und schreibe 7h 02min 42.7sec. – eine unglaublich starke Zeit. SIEG! Die schnellste Zeit seit 2009! Ich benötigte eine kurze Zeit, bis ich mich gefangen hatte. Es folgten Gratulationen sowie Interviews – dann erste Entspannung. Bis ins Ziel hatte ich dem Zweitplatzierten über 11 Minuten abgenommen. Von der anfänglichen Gruppe war noch Rolf Thallinger übrig, und war 23 Minuten nach mir im Ziel. Ein klares Indiz dafür, dass diese Gruppe zu zügig startete.

Bernhard überquerte die Ziellinie als Erster
Bernhard überquerte die Ziellinie als Erster

Nun hatte ich nicht nur den 100er in Biel gewonnen, sondern bin auch Schweizermeister über die brachiale Distanz geworden. Mit dieser Zeit hatte ich nicht gerechnet. Es war am Tag X trotz eines harzigen Starts alles aufgegangen. Die linke Kniescheibe hielt den Strapazen dank dem Tape stand. Erst Tage später konnte ich meine Leistung einordnen. Das Projekt Biel 2015 hatte sich ausbezahlt. Alle diese Long Runs, Trainingslager, Stabilitätsübungen etc. sowie Ferien und Zeit, die ich dafür aufgeopfert hatte. Im Vergleich zum Vorjahr habe ich vieles optimiert, und es zahlte sich voll aus. Ein Schlüssel zum Erfolg war sicherlich der Leistungstest Ende April, bei dem sich herausstellte, dass ich bisher zu langsam trainierte. An dieser Stelle nochmals Danke an mein Team von Mega-joule.ch (Dan Uebersax und Luzia Schmid) für die grandiose Betreuung sowie allen anderen, die mich das letzte halbe Jahr im Hintergrund unterstützt haben.

Schweizermeister Bernhard Eggenschwiler
Schweizermeister Bernhard Eggenschwiler

Meine Tipps für einen erfolgreichen Ultra-Lauf:
1. Lauf dein Rennen und lass dich von der Konkurrenz nicht beeindrucken.
2. Versuche einen negativen Split zu laufen, mit dem Überholen in der zweiten Streckenhälfte ist ein Erfolgserlebnis garantiert.
3. Setze dir Zwischenziele und denke in Teilstrecken, (z.B. Bei km xy wartet Betreuer mit Verpflegung auf mich)
4. Erfreue dich über jeden Zuschauer an der Strecke, der dir zujubelt.
5. Sei vorbereitet für eine Schwächephase – daran denken, dass diese vorbei gehen.

4 Antworten auf „Rennbericht 100km von Biel – wie ich den Sieg erlebte (von Bernhard Eggenschwiler)“

Hallo Bernhard

Ich gratuliere dir zu deiner ausserordentlichen Leistung!!!
Jetzt weiss ich auch wieso ich dich so viel trainieren gesehen habe 😉
Super Bericht, man kann sich so richtig gut vorstellen, was einem während 100 km so alles durch den Kopf geht….

Gruss Iwan

Hallo Bernhard
Ich gratuliere dir zu deiner ausserordentlichen Leistung!!!
Jetzt weiss ich auch wieso ich dich so viel trainieren gesehen habe 😉
Super Bericht, man kann sich so richtig gut vorstellen, was einem während 100 km so alles durch den Kopf geht….
Gruss Iwan

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