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Was meine Uhr so alles misst

Neuste Technologien auf dem Sportuhrenmarkt erfassen allerlei Parameter. Nur, wissen die Nutzerinnen und Nutzer auch, wie die gemessenen Werte zu interpretieren sind?
Parameter wie Laufdauer, Laufgeschwindigkeit, Herzfrequenz und zurückgelegte Höhenmeter sind essentiell für das kontinuierliche Monitoring der Trainingseinheiten. Eine gezielte Analyse dieser Daten dient der kurz- und längerfristigen Trainingssteuerung. Dennoch lassen diese Werte keine Rückschlüsse auf biomechanische Anforderungen im Laufen zu. Wichtige Aspekte der Lauftechnik und Laufökonomie sind beispielsweise die Schrittlänge, die Schrittfrequenz, die Bodenkontaktzeit und die Muskelsteifigkeit der Beine (Dehnungsreflex).

Wer viel misst, …

…misst Mist!? Der Technologie sind keine Grenzen gesetzt. Nur weil etwas messbar ist, kann es, aber muss es nicht per se von Wichtigkeit sein. Zudem sollte immer noch zwischen Spitzenläufer und Hobbyläufer unterschieden werden. Nicht beide brauchen die gleiche Förderung der gleichen Laufparameter.

Schrittlänge und Schrittfrequenz

In der Literatur wird kontrovers darüber diskutiert, wie die optimale Lauftechnik auszusehen hat und welches die wichtigsten Komponenten für eine gute Laufleistung oder Laufökonomie sind. Die Schwierigkeit, die wichtigsten Komponenten für die Laufleistung und Laufökonomie eindeutig zu identifizieren, liegt darin, dass es kaum biomechanische Daten aus kompletten Trainingseinheiten oder Wettkämpfen von Spitzenläufern gibt. Es existieren lediglich solche aus Labormessungen, welche beispielsweise auf dem Laufband durchgeführt wurden. Es ist fraglich, ob Laufparameter aus dem Labor mit denen draussen im Gelände kongruent sind. Eine der wenigen Untersuchungen, die auf Wettkampfdaten basiert, ist die von Enemoto et al. (2008). Darin werden die drei Bestplatzierten im Finale der Leichtathletik-WM 2007 in Osaka über 10‘000 m bezüglich biomechanischer Kennwerte analysiert. Die Autoren haben festgestellt, dass der siegreiche Athlet die Strategie verfolgte, mit tiefer Schrittfrequenz und grosser Schrittlänge zu laufen, der drittbeste Athlet die entgegengesetzte Strategie anwendete und der Zweitplatzierte eine Strategie dazwischen umsetzte. Dennoch waren sie bis eine Runde vor Schluss (9‘600 m) gleich auf, und die Endentscheidung fiel knapp aus. In anderen Untersuchungen wurde geschlussfolgert, dass für eine gute Laufökonomie ein selbstgewähltes individuelles Verhältnis zwischen Schrittlänge und Schrittfrequenz optimal ist, das sich aufgrund der Konditionierung und vieler Repetitionen im Training ausgebildet hat. Demnach lässt sich die Laufgeschwindigkeit durch die Steigerung der Schrittfrequenz oder der Schrittlänge erhöhen. Beide Komponenten zu vergrössern ist aufgrund der gegenseitigen Abhängigkeit eher schwierig. Solange die Schrittlänge beziehungsweise die Schrittfrequenz erhöht wird und gleichzeitig der jeweils andere Parameter nicht proportional oder stärker abnimmt, nimmt die Laufgeschwindigkeit zu.

Bodenkontaktzeit

Der einzige Zeitpunkt beim Laufen, bei dem Muskelkräfte auf den Boden übertragen werden, ist während des Bodenkontaktes. Aus diesem Grund wird bereits seit mehreren Jahren die Bodenkontaktzeit bei Läufern untersucht. Verschiedene Studien weisen darauf hin, dass ein Zusammenhang zwischen kurzen Bodenkontaktzeiten und besseren Laufleistungen besteht. Zum Beispiel haben Paavolainen et al. (1999) biomechanische Kennwerte von Eliteläufern und Freizeitsportlern bei fünf konstanten Laufrunden mit vorgegebener Laufgeschwindigkeit während eines 10‘000-m Laufes auf einer 200-m Bahn untersucht. Verglichen mit den Freizeitsportlern, hatten die Eliteläufer signifikant kürzere Bodenkontaktzeiten während den konstanten Laufrunden sowie eine bessere Laufleistung über die 10‘000 m. Die Wichtigkeit von kurzen Bodenkontaktzeiten wurde zudem in einer Studie von Santos-Concejero et al. (2016) mit kenianischen Spitzenläufern belegt. Verglichen mit anderen publizierten Werten, hatten die kenianischen Läufer rund 10% kürzere Bodenkontaktzeiten, trotz ähnlicher Laufgeschwindigkeit. Die zugrundeliegenden Mechanismen sind unklar, aber eine kurze Bodenkontaktzeit scheint energieeffizient zu sein, da die elastische Energie aus dem Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus besser genutzt werden kann. Dadurch ist die Muskelsteifigkeit der Beine erhöht, was zur Folge hat, dass kleine Negativ- und grosse Positivkräfte umgewandelt werden können. Ausserdem wurde gezeigt, dass 90‒96% der Unterschiede in der Beinsteifigkeit durch die Dauer des Bodenkontaktes erklärt werden können. Aus diesen Gründen kann spekuliert werden, dass eine kurze Bodenkontaktzeit mit einer verbesserten Laufökonomie zusammenhängt.

Kurz, lang, hoch!?

Kurze Bodenkontaktzeit, lange Schrittlänge, hohe Schrittfrequenz? Wohl kaum! Es gibt ein individuelles Optimum, wie diese drei Parameter zusammenpassen. Zudem stehen alle drei Werte stark in Abhängigkeit mit der Laufgeschwindigkeit (und dem Gelände) und dürfen daher nie isoliert betrachtet werden.
Für die breite Masse der Laufbevölkerung ist es nicht prioritär, sich im Training oder Wettkampf allzu oft auf die Bodenkontaktzeit, Schrittlänge oder Schrittfrequenz zu konzentrieren. Infolgedessen ist es einem Hobbyläufer auch nicht empfohlen, selbständig an einem dieser Parameter zu schrauben. Wer die eigenen Werte dennoch interpretieren, verstehen und ändern möchte, der oder die braucht Expertenwissen.

Meine Sportuhr: Fazit

Nun messen neuere Sportuhren auch die Bodenkontaktzeit, Schrittlänge und Schrittfrequenz oder quantifizieren gar Asymmetrien zwischen dem linken und dem rechten Fuss. Wozu kann das nützlich sein?
Das sind hilfreiche Informationen für ein längerfristiges (Dauer: monate- bis jahrelanges) Trainingsmonitoring. So kann beispielsweise eine Verletzung zu verstärkter Laufasymmetrie führen, welche nach der Rehabilitation idealweise wieder auf das Ausgangsniveau gebracht wird. Vorher- Nachher-Messungen geben Rückschlüsse betreffend der Leistungsentwicklung beziehungsweise der Wiedereingliederung in den Trainings- und Wettkampfalltag.
Grundsätzlich gilt: Für die Trainingssteuerung (v.a.) in Echtzeit sind nach wie vor die Laufgeschwindigkeit und/oder Herzfrequenz zuverlässige und hilfreiche Messgrössen – und nicht zu vergessen: das subjektive Empfinden beim Laufen, welches von keiner Uhr gemessen werden kann!


Dieser Blogbeitrag ist von Dr. Rahel Gilgen-Ammann, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Ressort Leistungssport, Eidgenössische Hochschule für Sport Magglingen (EHSM).
Sie arbeitet in der Gruppe Monitoring und Evaluation und befasst sich hauptsächlich mit der objektiven Erfassung von körperlicher Aktivität. Eine Hauptaufgabe ist die Entwicklung und Validierung von Messgeräten im Sport (z.B. Beschleunigungssensoren oder Sportuhren). Ihre Doktorarbeit hat sie im Bereich Laufsport verfasst und die Arbeit trägt den Titel „Quantifizierung und Optimierung von Laufparametern mit Hilfe von körpertragbaren Sensoren“ (Universität Fribourg).
Dr. Rahel Gilgen-Ammann hat einen Master of Science in Public Health mit Spezialisierung in Health Education & Promotion (Maastricht University, NL) und einen Bachelor of Science in Exercise & Health Science, Sport in Prävention und Rehabilitation (Universität Basel). Dazu kommen verschiedene Ausbildungen / Trainertätigkeiten im Laufsport sowie Fitness (Pilates, Body Toning). Bewegung ist für sie lebensnotwendig bzw. Lebensqualität: Laufen (STB-Mitglied und Assistant Coach) mit Marathondebut diesen April in Wien (Foto), Trailrunning, Orientierungslauf, Skifahren, Telemark und Skitouren.
Referenzen:
Enomoto, Y., Kadono, H., Suzuki, Y., Chiba, T., & Koyama, K. (2008). Biomechanical analysis of the medalists in the 10,000 metres at the 2007 World Championships in Athletics. New Studies in Athletics.
Paavolainen, L., Nummela, A. T., Rusko, H., & Hakkinen, K. (1999). Neuromuscular characteristics and fatigue during 10 km running. International Journal of Sports Medicine, 20, 516-521.
Santos-Concejero, J., Tam, N., Coetzee, D. R., Olivan, J., Noakes, T. D., & Tucker, R. (2016). Are gait characteristics and ground reaction forces related to energy cost of running in elite Kenyan runners? Journal of Sports Sciences, 1-8.

4 Antworten auf „Was meine Uhr so alles misst“

Liebe Sportsfreunde

dies würde ich mal gerne erlernen mit einer sportuhr zu laufen.
Bis heute hatte ich eine polaruhr. eingestellt ist sie, jedoch bin ich technisch zu wenig auf dem Vormarsch. Vielleicht kann mir jemand nach Pfingsten weiterhelfen.

Freundliche Gruesse

Michael

Bei allem Hightec am Handgelenk,
zum Glück nimmt die Sportsuhr einem nicht das Laufen ab, so wie bei den E-Bikes der Motor dem Radler das Treten oder besser gesagt dem Fahrer 😉

Ich finde die HR sehr praktisch.

Meine Uhr bewahrt mich oft davor zu schnell zu laufen.

Ich habe schon eine sehr enge Beziehung zu meiner Uhr aufgebaut 🙂

Was bedeutet kurze Bodenkontaktzeit in der Praxis? Gibt es einen Range indem man sich bewegen sollte (x-y ms)?

Meine Balance der Bodenkontaktzeit unterscheidet sich gemäss Garmin Uhr ca. 1% vom linken zum rechten Fuss.
Spricht man hier bereits von Asymmetrien? Sind die Messdaten in diesem Bereich überhaupt verlässlich?

Besten Dank für die Antworten.

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