In den letzten 12 Jahren hat sich in Kenia so einiges verändert. Nur schon die Reise ins Land der Läufer gestaltet sich viel angenehmer als noch 1998. Mittlerweile fliege ich mit Swiss tagsüber nach Nairobi. Kaum raus aus dem Flughafen, lacht mich schon Sammy an. Seit 12 Jahren ist er der sichere Wert, wenn es um einen Transport innerhalb Nairobi geht. Sammy liebt es über sein Land und insbesondere über die Politik zu sprechen. Auf der Fahrt zum Heron-Hotel am Stadtrand von Nairobi erhalte ich in der Regel ein Update was die politische Entwicklung des Landes in den letzten Monaten angeht. Und dass seine Kinder mittlerweile selber eine Arbeit gefunden haben, macht nicht nur ihn sondern auch mich glücklich. Nach dem ersten Ugali (Leibgericht der Kenianer, bestehend aus Mais) und einer kurzen Nacht, geht es morgens um 6 Uhr zurück zum Flughafen von Nairobi.
Ich erinnere mich gut an meinen ersten Inlandflug von Eldoret nach Nairobi. Dies war 2000. Auf dem Weg nach Eldoret mussten wir uns noch in ein Matatu zwängen. Zurück ging es dann bequem per Kleinflugzeug. Nur, als wir den „Vogel“ sahen, war uns plötzlich nicht mehr so wohl im Bauch. Der Pilot schaute sich jeden Fluggast an und platzierte dann einen nach dem anderen. Sein Ziel war es, den Flieger möglichst gleichmäßig zu laden. Mit viel Lärm hob die 2-Propeller-Maschine ab. Während den 60 Minuten Flug verstand man sein eigenes Wort nicht. Aber wir landeten sicher in Nairobi. Mittlerweilen gibt es mehrere Fluggesellschaften die von Nairobi nach Eldoret und zurück fliegen. Und die Reise dauert nur noch eine knappe halbe Stunde. Ganz ohne Überraschungen geht es aber auch heute nicht.
Beim Einchecken wurden wir informiert, dass wir von Nairobi zuerst nach Kisumu fliegen werden, um dort ein paar Passagiere zusteigen zu lassen. Auch der Pilot kündigte beim Abflug die Reise nach Kisumu an. Beim Landeanflug auf Kisumu stellte ich fest, dass die Gegend dort gar nicht so anders ist als rund um Eldoret. Minuten später sah ich das Flughafengebäude von Eldoret! Kurz und gut, nicht einmal der Pilot wusste so genau wohin er fliegen wollte…
Nach mehreren Jahren auf der Kasimingi Farm (ein Kinderheim welches an Sportler/Touristen Zimmer vermietet, damals unter der Führung von Kipchoge Kenio) lebte ich ab und zu auch bei Jürg Wirz. Dieser wohnt mittlerweile am Elgon View einen der besten Wohnlagen in dieser Gegend. Damals suchte ich den Kontakt zu den einheimischen Läufern. Und so stand ich ab und zu frühmorgens im Dunkeln und wartete.
In dieser Zeit lernte ich das Zeitsystem der Kenianer kennen. Machte man um 6 Uhr ab, konnte dies um 6 Uhr sein. Gut möglich war aber auch, dass sie erst um 6:59 Uhr auftauchten. Swiss-Timing ist hier immer noch ein Fremdwort!
Zur Olympiavorbereitung 2004 in Athen schlossen sich Christian Belz und ich der Trainingsgruppe von Jos Hermens in Kaptagat an. Im nahe gelegenen Kaptagat Hotel fanden wir die perfekte Unterkunft. Noch im selben Jahr lernte ich Claudio Berardelli kennen. Claudio war als Coach für Gabrielle Rosa’s Athleten zuständig. Ab 2005 lebte ich nunmehr zusammen mit Claudio in Kenia. Seit anfangs 2008 ist zudem Gabrielle’s Sohn Federico zuständig für mein internationales Management. Mit Claudio veränderte sich mein Leben in Kenia stark. Nun wartete ich nicht mehr im Dunkeln auf meine Trainingspartner, sondern ich konnte mit dem Coach zu den Trainings fahren. Und bekanntlich bestimmt ja der Coach wann und wo das Training beginnt. So trainierte ich die ersten Jahre unter Claudio vorwiegend in Kapsabet mit der Trainingsgruppe von Martin Lel. In den letzten beiden Jahren lief ich zunehmendes mehr mit der Gruppe von James Kwambei rund um Eldoret. Seit diesem Jahr steht das neue Camp von Claudio in Kaptagat. Ca. 500m vom Kaptagat Hotel entfernt schließt sich nun also der Kreis für mich seit 2004.
In diesem Jahr mietete ich zudem zum ersten Mal ein Auto in Kenia. Dies brachte noch mehr Flexibilität. So konnte ich mit den Jungs trainieren, wann immer ich wollte. Denn Claudio betreut ja immer noch die Gruppe in Kapsabet und verschieden MittelstreckenläuferInnen, so dass er nicht bei allen Trainings dabei ist.
Internet, Handyempfang, Bankomaten, ja sogar Kreditkartenbezahlung sind nun auch in Kenia Standard. Gab es ursprünglich nur einen Supermarkt in der Stadt, sind es mittlerweile deren vieler. Insbesondere der neue Tuskys hat es mir angetan. In der Bäckerei findet man sogar Vollkornbrot, denn Sonntagszopf backe ich aber immer noch selber. Und Part-time-vegetarier muss man auch nicht mehr sein. Die Fleischwarenabteilung sieht mittlerweile fast so aus wie bei uns. Kulinarisch kann man zudem zwischen mehreren Möglichkeiten auswählen. Man isst an mehreren Orten sehr gut indisch oder man begibt sich ins Mamma Mia und bestellt sich eine Pizza. Diese kommt dann eher „americanstyle“ daher, aber schmeckt gar nicht mal so schlecht.
Und ja, da ist natürlich immer noch der „Mister Yu“. Ein paar Jahre älter eben, aber auch an mir ist die Zeit ja nicht spurlos vorbei gegangen.
Apropos Zeit. Meine Zeit in Kenia ist zu Ende. Morgen Freitag fliege ich zurück in die Schweiz. Wieder nehme ich viele spannende Eindrücke mit aus dem Land der Läufer. Insbesondere die Einfachheit des glücklich seins! Glücklich bin ich auch über meinen Formstand. Am 5. Februar 12 teste ich diese am Granollers Halbmarathon bei Barcelona. Anschließend entscheide ich, ob ich den Tokyo Marathon laufen werde. Ich würde sagen, die Chancen stehen gut!
Viktor Röthlin