Viel trinken, bei langen Wettkämpfen; so lautete jahrelang die wissenschaftliche Empfehlung. Neuere Zwischenfälle zeigen: Auch zu viel trinken kann gefährlich sein!
Vor drei Jahren schreckte ein vermeintliches Einzelschicksal die Marathonszene auf. Eine 28-jährige Läuferin starb beim Boston-Marathon, weil sie anscheinend aus Angst vor einer Dehydrierung literweise Flüssigkeit getankt hatte. An einem Versorgungsstand soll die junge Frau nach fünf gelaufenen Stunden 16 Becher geleert haben. Wenige Minuten später brach sie tot zusammen. Diagnose: Hyponatriämie, auch Wasservergiftung genannt. Die Blutuntersuchung ergab, dass ihr Natriumwert auf 113 Millimol pro Liter abgesackt war – normal sind Werte zwischen 135 und 145. Das Phänomen Hyponatriämie ist in der Marathonszene kein Einzelfall.
Jahrelang wurde den Ausdauerläufern gesagt, sie sollen über den Durst trinken. Sollte man nun die Versorgungsstationen, die Flüssiges offerieren, bei künftigen Ausdauer-Anlässen lieber auslassen? «Sicher nicht», sagt der Ernährungswissenschaftler Paolo Colombani von der ETH Zürich. «Mehrheitlich trinken die Sportler zu wenig. Die Gefahr, zu viel zu trinken, ist ziemlich gering.» In der Untersuchung wurden beim Boston-Marathon 2002 fast 500 Läufer vor und nach dem Wettkampf auf die Waage gestellt. Nach Ankunft im Ziel bestimmte das Ärzteteam um Christopher Almond von der Harvard Medical School in Boston ausserdem die Natriumkonzentration im Blut und sie befragten die Athleten über ihr Trinkverhalten während des Marathons. Die Studie offenbart: 62 von 488 Läufern (13 Prozent) trabten mit einem Natriumdefizit über die Ziellinie. Bei drei der 62 Probanden (0,6 Prozent) war die Natriumkonzentration mit 119, 118 und 114 Millimol pro Liter Blut sogar lebensgefährlich gering. Denn wenn der Natriumgehalt unter einen Wert von 120 Millimol sackt, droht eine tödliche Hirnschwellung.
Nach dem Marathon schwerer als vorher
Der Grund für die tiefe Natriumkonzentration hängt eng mit dem Trinkverhalten zusammen. Wenn man viel trinkt, wird das Blut stark verdünnt. Beinhaltet das eingenommene Getränk zu wenig Salz, sinkt die Natriumkonzentration im roten Lebenssaft. Enthält dadurch das Blut weniger Salz als die Flüssigkeit im umliegenden Gewebe, «saugt» sich der Körper vermehrt Wasser aus dem Blut. Die Folge: Beine und Arme schwellen an. Im Gehirn ist der Effekt besonders fatal, denn die Schädeldecke kann dem erhöhten Hirndruck nicht nachgeben. Es kommt zum Hirnödem. Zunächst äussert es sich in Benommenheit und Verwirrung; unbehandelt kann es aber zur Bewusstlosigkeit und schliesslich gar zum Tod führen. Von einer «milden» Hyponatriämie spürt man dagegen meist nichts. Bei der Boston-Studie zeigte sich, dass mehr als 70 Prozent der Läufer, die mit einem Natriumdefizit ins Ziel liefen, mehr Gewicht als beim Start auf die Waage brachten. Einer der Probanden legte unterwegs sogar vier Kilogramm zu. Kein Wunder: Fast jeder zweite der Finisher mit Natriummangel hatte während des Laufs drei Liter und mehr getrunken und damit anscheinend mehr Flüssigkeit aufgenommen, als er durchs Schwitzen wieder los werden konnte.
Risikofaktoren = schlank und langsam
Gefahr zu viel zu trinken, laufen insbesondere Ausdauersportler, die langsam und lange unterwegs sind. Für die 42,195 Kilometer beim Boston-Marathon brauchten rund die Hälfte der betroffenen Probanden vier Stunden und länger. Ein höheres Risiko für eine Hyponatriämie bringen auch Sportler mit einem niedrigen Bodymass-Index mit. Die beiden Risikofaktoren «lange Laufzeit und schlank» erklären wahrscheinlich, warum im Blut von Frauen häufiger zu wenig Natrium gefunden wurde als im Blut von Männern. Das Geschlecht allein spielt hingegen vermutlich keine Rolle, schreiben die Autoren. Dass die Wasservergiftung nicht nur die Marathonszene trifft, zeigt eine Untersuchung am Ironman Neuseeland, die vor acht Jahren durchgeführt wurde. Rund 18 Prozent der 330 untersuchten Eisenfrauen und -männer kamen mit einem Natriumdefizit ins Ziel. 30 Prozent von ihnen litten unter leichten Symptomen. Mehrheitlich waren diese Athleten beim Zieleinlauf schwerer als beim Startschuss.
Flüssigkeitsdefizit bedingt Leistungseinbussen
Die Datenlage verunsichert. Was und wie viel soll man beim Ausdauersport trinken? Hat die Empfehlung «trink, bevor der Durst kommt» mit den neuen Studienergebnissen ausgedient? «Der Ratschlag ist nach wie vor aktuell», sagt Colombani. «Das Durstgefühl meldet sich unter Belastung zu spät.» Allerdings ist die Skala nicht mehr nach oben offen: In der neuen Schweizerischen Lebensmittelpyramide heisst es etwa, dass als Basis pro Tag ein bis zwei Liter Flüssigkeit getrunken werden sollen. In der alten Pyramide lautete die Angabe noch «mindestens eineinhalb Liter am Tag.» Wenn es um den zusätzlichen Flüssigkeitsbedarf durch Belastung geht, taugen keine allgemeinen Regeln, sagt Colombani. Vielmehr solle der individuelle Wasserhaushalt bei den Trinkgewohnheiten berücksichtigt werden. Der Wasserbedarf ist generell abhängig von Intensität, Dauer und Art der körperlichen Belastung. Weil der Fahrtwind kühlt, schwitzt man beispielsweise beim Radfahren weniger als beim Laufen. Ausserdem beeinflussen die Umgebungstemperatur und die Luftfeuchtigkeit die Transpiration. Um den individuellen Schweissverlust zu ermitteln, rät Colombani, vor und nach dem Training auf die Waage zu steigen. Getrunken werden sollte etwa 20 Prozent mehr als verschwitzt wurde. Der Organismus braucht das Wasser in erster Linie für den Wärmeausgleich. Fehlt ihm die nötige Flüssigkeit, schlägt sich das schnell in Leistungseinbussen nieder. Die Leistungsfähigkeit sinkt, sobald der Mensch zwei Prozent seines Körpergewichts in Form von Schweiss verliert. Wenn eine 70 Kilogramm schwere Person beispielsweise beim Joggen pro Stunde einen Liter schwitzt, ist das nach knapp eineinhalb Stunden passiert. Bei einem Verlust von vier Prozent des Körpergewichts besteht eine Leistungseinbusse von rund 20 Prozent. Der Kollaps schliesslich droht ab einem Flüssigkeitsdefizit von sechs Prozent. Die dehydrierten Sportler landen dann im Infusionszelt und werden intravenös mit Flüssigkeit und Salz versorgt. Fatalerweise ähnelt eine starke Dehydratation symptomatisch einer Wasservergiftung. Wird jedoch eine Hyponatriämie mit Flüssigkeit therapiert, kann das katastrophal enden.
Mit dem Schweiss verliert man auch Salz
Wie der Schweissverlust variiert auch der Salzgehalt des Schweisses und damit der Salzverlust während einer Belastung. Die Kochsalzmenge im Schweiss reicht von ein bis drei Gramm pro Liter. Kochsalz setzt sich aus Natrium- und Chloridionen zusammen. Das Natrium spielt bei der Regulation des menschlichen Wasserhaushalts eine entscheidende Rolle. Es findet sich nicht nur im Blut, sondern auch in der Zwischenzell- und in der Lymphflüssigkeit. Die Kochsalzkonzentration im Blut beträgt etwa neun Gramm pro Liter. Entscheidend bei der optimalen Flüssigkeitszufuhr während langen Läufen ist also nicht nur die Frage nach der Menge der einzunehmenden Flüssigkeit, sondern auch nach den Inhaltsstoffen. Colombani empfiehlt Getränke mit zwei bis drei Gramm Salz pro Liter. In kommerziellen Sportgetränken ist aus geschmacklichen Gründen meist zu wenig Natrium enthalten. Dies bestätigte auch die Untersuchung am Boston-Marathon. Ob die Läufer reines Wasser oder elektrolythaltige Sportgetränke bevorzugten, beeinflusste das Risiko nicht, sich in eine Hyponatriämie zu trinken.
Zufuhr von Salz bei langer Belastung sinnvoll
Um eine Hyponatriämie bei exzessiver Flüssigkeitszufuhr zu verhindern, reicht aber anscheinend auch die von Colombani empfohlene Salzmenge nicht aus. Dies legt eine Studie nahe, die unter anderem vom Schweizer Arzt und Ultra-Triathlet Beat Knechtle durchgeführt wurde. Das Ärzte-Team vom Paraplegiker-Zentrum in Nottwil liess 13 Ausdauersportlerinnen drei Mal vier Stunden auf einer 400-Meter-Bahn laufen. Pro Stunde mussten sie einen Liter trinken. Der Salzgehalt des Getränks unterschied sich von Lauf zu Lauf; nur der Kohlenhydratgehalt war konstant: beim ersten Mal gab es Wasser, beim zweiten Mal wurde eine rund 0,4-prozentige Kochsalzlösung gereicht und beim dritten Mal bekamen die Probandinnen knapp sieben Gramm Salz pro Liter zu schlucken. Das Ergebnis: Rund 90 Prozent der Wassertrinkerinnen hatte nach vier Stunden zu wenig Natrium im Blut. Die vierprozentige Kochsalzlösung drückte das Risiko für ein Natriumdefizit um etwa 20 Prozent. Mit dem stark salzhaltigen Getränk konnte sogar die Hälfte der Fälle vermieden werden. Kann somit eine hochprozentige Kochsalzlösung bei lang andauernden Belastungen vor einer Hyponatriämie schützen? Thomas Wessinghage hält zumindest das Experimentieren im Training für einen Versuch wert. Beim «Long Jog» schlägt er vor zu testen, ob eine physiologische und damit eine 0,9-prozentige Kochsalzlösung (neun Gramm Salz pro Liter Wasser) den Salzverlust effektiv kompensieren kann. Die Lösung solle am besten in handliche Deziliter-Portionen abgefüllt werden (gesamthaft rund drei bis fünf Deziliter) und in Kombination mit herkömmlichen Getränken regelmässig unterwegs getrunken werden.
Trinken beim Sport muss sein
Zusammengefasst steht fest: Trinken beim Sport muss sein. Allein bei Einheiten unter einer Stunde kann getrost auf die Flüssigkeitsaufnahme verzichtet werden. Da reicht es aus, die Speicher nach der Belastung wieder aufzufüllen. Wer länger als eine Stunde unterwegs ist, sollte den Wasserverlust kontinuierlich kompensieren und alle 15 bis 20 Minuten trinken. Zu beachten ist, dass eine Flüssigkeitszufuhr von mehr als einem Liter pro Stunde wahrscheinlich nichts bringt. Physiologische Untersuchungen zeigen, dass der Körper nur maximal einen Liter Wasser pro Stunde aufnehmen kann. Bei Belastungszeiten von zwei Stunden und mehr raten Ernährungswissenschaftler und Sportärzte zu kochsalz- und damit zu natriumchloridhaltigen Getränken. Ebenso klar ist, dass die Dehydratation, also zu wenig Flüssigkeit, bei einem Marathon weitaus häufiger auftritt als die Hyponatriämie. Ein Marathonläufer läuft in der Regel auf seiner 42 Kilometer langen Reise kontinuierlich Schritt für Schritt in eine Dehydratation. Die Kunst besteht darin, erst im Ziel mit einem Flüssigkeitsverlust anzukommen, der eine massive Leistungseinbusse zur Folge hätte. Wichtig ist es deshalb, jede Getränkekomposition vor dem Wettkampf unter unterschiedlichen Belastungen hinsichtlich Verträglichkeit zu testen. Ausserdem macht es Sinn, das Trinken während des Laufens zu üben. Und natürlich sollten beim Mixen der Getränke die Kohlenhydrate wie Rübenzucker, Glukose oder Maltodextrin nicht vergessen werden. Denn schliesslich sind sie es, die den nötigen Energienachschub liefern.
Dieser Blog wurde durch Fit for Life zur Verfügung gestellt. Fit for Life ist das Schweizer Magazin für Fitness, Lauf- und Ausdauersport. Möchtest du regelmässig solche Artikel lesen? Dann klicke hier.
Eine Antwort auf „Trinktipps bei Ausdauerbelastungen“
[…] Krämpfe, die während einer Belastung auftreten, können am besten durch eine regelmäßige Flüssigkeits- und Elektrolytzufuhr verhindert werden. Abhängig von Dauer, äußeren Bedingungen und dem Individuum werden 400-800 ml Flüssigkeit mit 600-800 mg Natrium/Liter angereichert pro Stunde empfohlen. Flüssigkeit, die ohne zusätzliche Mineralien zugeführt wird, kann vom Körper wesentlich schlechter aufgenommen werden. In großen Mengen getrunken kann dies gar zu einem gesundheitlichen Risiko führen, der sogenannten Hyponatriämie. (Mehr zu diesem Thema liest du hier.) […]