Der Kopf läuft mit – in unserer Serie „Das 1×1 des Sportmentaltrainings“ gibt dir Martin Feigenwinter wertvolle Tipps, wie du das mentale Training praktisch mit deinem Lauftraining verbinden kannst, um beim nächsten Wettkampf deine persönliche Topleistung abzurufen. Mentales Training bringt Läufer auf unterschiedlichstem Niveau weiter. In diesem ersten Beitrag geht es um den optimalen Leistungszustand – wie erreiche ich diesen?
„Sportmentaltraining? Das brauche ich nicht, das ist doch nur etwas für Profis. Ich laufe den Marathon doch einfach nur für mich und schaue, was dabei für eine Zeit herauskommt.“
Echt?
Weshalb bist du dann doch oft enttäuscht, dass du nicht schneller warst? Hattest du vielleicht doch ein unbewusstes Ziel? Wolltest du vielleicht doch unbedingt deine beste Trainingsleistung im Wettkampf abrufen?
Wenn du die Frage mit Ja beantwortet hast, dann solltest du jetzt weiterlesen.
Was braucht es für persönliche Topleistungen?
Damit du für dich eine Topleistung abrufen kannst, müssen ein paar Faktoren erfüllt sein.
Körperlich fit
Du musst körperlich fit und in Form sein. Bei deinem Trainingsaufbau kann dich ein persönlicher Trainer oder das auf dich abgestimmte Trainingsprogramm running.COACH unterstützen.
Material in Ordnung
Dein Material muss in Ordnung sein. Schlecht passende oder „durchgelatsche“ Laufschuhe, bei denen die Schnürsenkel schon beim Anblick reissen, sind nicht leistungsfördernd.
Glück/Pech
Auch Glück und Pech können eine Rolle spielen. Es gibt immer wieder Faktoren, die du nicht beeinflussen kannst. Die musst du einfach akzeptieren. Pech hatte z.B Eliud Kipchoge beim Berlin-Marathon mit dem Material, als auf einmal seine Sohle flatterte. Er lief unbeirrt weiter und brachte den Sieg ins Trockene. Oder Vanderlei Lima als er beim Olympiamarathon 2004 in Führung liegend von einem Zuschauer aufgehalten wurde. Beide sind weitergelaufen, als wäre nichts gewesen, und haben sich nicht beirren lassen. Auf ihren optimalen Leistungszustand hat sich das scheinbar nicht ausgewirkt. Auf das Ergebnis hingegen schon.
Der Kopf
Und dann ist da noch der Kopf. Stell dir vor, du läufst über ein zwei Meter langes und 30 Zentimeter breites Brett. Das ist eine einfache Übung.
Läufst du auch noch über dieses Brett, wenn es zehn Meter über dem Boden ist?
Nicht?
Hast du auf einmal das Laufen verlernt? Wohl kaum. Doch jetzt machst du dir einen Kopf und bewertest die Situation. Du überlegst dir, was passiert, wenn du herunterfällst. Richtig?
Wenn du so denkst, dann wirst du nicht mehr in der Lage sein, deinen optimalen Leistungszustand abzurufen. Dann hast du deinen Fokus überall, nur nicht da, wo er sein sollte: beim Laufen.
Dann hilft es dir nicht, wenn du Topmaterial hast und in einer ausgezeichneten körperlichen Verfassung bist. Wenn du dir einen Kopf machst, kannst du dein Potenzial nicht abrufen.
Mit dem Sport-Mentaltraining schliessen wir diese Lücke. Deinen Kopf solltest du genauso trainieren wie deinen Körper, damit du nicht nur zufällig gute Leistungen im Wettkampf (oder in der Freizeit) bringst.
Der Kopf ist deine Software, der deine Hardware – deinen Körper –perfekt ansteuern sollte. Einen Computer, der andauernd Bluescreens liefert, würdest du schnell entsorgen oder updaten.
Warum akzeptierst du dann Bluescreens bei dir?
Am Start solltest du in deinem optimalen Leistungszustand sein und diesen während deinem Wettkampf aufrechterhalten können. „Unnötige“ Gedanken oder Gedankenbilder wirken sich dabei hinderlich auf deine Leistung und dein Ergebnis aus.
In dieser Artikelserie bekommst du von mir ein paar Tipps und Tricks, wie du das machen kannst.
Was ist der optimale Leistungszustand?
Nicht jeder Sportler und jeder Läufer braucht die gleiche Anspannung, damit er sein Leistungsvermögen abrufen kann. Einige brauche viel Spannung (eine hohes Erregungsniveau), andere müssen einen Wettkampf etwas lockerer angehen. Doch was ist überhaupt der optimale Leistungszustand? Schau dir dazu zuerst die folgende Grafik an.
Grafik Optimaler Leistungszustand
Mit zunehmender Spannung nimmt deine Leistung zu. Ist die Spannung jedoch zu gross, nimmt das Leistungsniveau wieder ab. Auch übermässige Nervosität und Druck von aussen führen zu einem (zu) hohen Erregungsniveau.
Bei kleineren und unbedeutenden Wettkämpfen (und auch in Trainings) kämpfte ich mit einem (viel zu) tiefen Erregungsniveau. Ich musste mich jeweils heftig aktivieren, damit ich einen Spannungszustand erreichte, in dem ich „wettkampftauglich“ war. Eine zu „chillige“ Einstellung oder Probleme im Umfeld sind Faktoren, die für ein tiefes Erregungsniveau verantwortlich sein können.
Wie schaut das bei dir aus? Hast du bei wichtigen Wettkämpfen eher ein zu hohes oder ein zu tiefes Erregungsniveau?
Das Schöne daran: Du kannst dein Erregungsniveau selber beeinflussen. Wenn du das möchtest.
Dein optimaler Leistungszustand
Mit welcher Anspannung du die beste Leistung bringst, kannst du mit ein wenig Ausprobieren selber herausfinden, wenn du es noch nicht weisst.
Laufe einen Wettkampf mit viel Anspannung, also einem hohen Erregungsniveau, einen anderen mit wenig etc. Natürlich riskierst du damit, dass der eine oder andere Wettkampf nicht so gut läuft. Aber das spielt eh keine Rolle, du läufst ja nur für dich und schaust, was dabei herauskommt. 😉 Sorry, ich konnte nicht anders.
Langfristig wirst du von solchen Experimenten profitieren. Nicht jeder Wettkampf ist wichtig, oder? Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie du deine Anspannung steuern kannst. Meine beiden Favoriten möchte ich dir heute näherbringend. Und damit sind wir bei der ersten Grundtechnik im Sport-Mentaltraining: der Atemregulation.
Atemregulation
Deine Atmung hast du immer im Gepäck, sie steht dir immer zur Verfügung. Nutze sie, um deine Anspannung zu steuern. Deine Atmung und deine Herzfrequenz sind eng miteinander gekoppelt. Beim Einatmen steigt deine Herzfrequenz, beim Ausatmen sinkt sie. Diesen Effekt kannst du gezielt nutzen.
Wenn du zu angespannt bist, dann atmest du länger aus als ein. Damit entspannst du dich.
In jeder Situation entspannen zu können, ist eine der wichtigsten Fähigkeiten, die du dir antrainieren kannst. Entspannen, wenn nichts los ist, kann jeder. Entspannen, wenn dir alles um die Ohren fliegt, ist höhere Schule. Die Fähigkeit zu entspannen hilft dir nicht nur im Sport, sondern auch im Berufsleben.
Bist du zu locker drauf, atmest du tief ein und hältst kurz die Luft an und lässt sie wieder ausströmen. Auch wenn Gefahr droht, holst du zuerst Luft, bevor du losrennst.
Achte doch einmal darauf, was passiert, wenn dein Chef kommt und bei dir Stress auslöst.
Musik
Was hat Musik für einen Einfluss auf dich?
Kannst du dich bei Heavy Metal entspannen? Eher nicht. Die richtige Musik kann deine Spannung in die richtigen Bahnen lenken. Pushe dich mit einer „fetzigen“ Playlist, um dich zu aktivieren und in Wettkampfstimmung zu kommen.
Nutze ruhige und chillige Musik, wenn du oft übererregt bist vor dem Start. Natürlich kannst du es auch kombinieren (von ruhig zu aktivierend) und die Spannung so aufbauen.
Auch mit Selbstgesprächen und Visualisieren kannst du deinen optimalen Leistungszustand beeinflussen. Wie das funktioniert und wie du das gewinnbringend im Wettkampf einsetzen kannst, erzähle ich dir in den nächsten Artikeln dieser Serie.
Nutze deine Möglichkeiten!
Martin
Martin Feigenwinter ist Sport-Mentaltrainer und Olympionike im Eisschnelllaufen und bloggt auf feigenwinter.com. Er unterstützt Athleten dabei, am Tag X ihr volles Leistungspotenzial abzurufen.
Athleten profitieren von seiner persönlichen Erfahrung aus 15 Jahren Leistungssport und als Sport-Mentaltrainer. Er ist zweifacher Olympiateilnehmer (1994, 1998) und mehrfacher Schweizermeister & -rekordhalter im Eisschnelllaufen. 1998 belegte er bei der Einzelstrecken-Weltmeisterschaft den 7. Rang über 10.000 Meter. Mit der gelaufenen Zeit schaffte er den Sprung in die Top 10 der Weltrangliste aller Zeiten.
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