Das Jahr 2020 wird wohl den wenigsten von uns als grosses Highlight in Erinnerung bleiben. Für Helmut Rau war der Weg durchs Jahr 2020 aber ganz besonders steinig. Im folgenden Text beschreibt er seinen persönlichen Kampf gegen den Krebs und wie er sich danach wieder zum Ausdauersport zurückgekämpft hat. Wir bedanken uns ganz herzlich für diesen eindrücklichen Erfahrungsbericht!
Jenseits von Corona
2020 sollte mein Jahr werden. Planung und Vorbereitung verliefen gut. Erstes Highlight sollte der Two Oceans (inzwischen 58 km, knapp 1000 hm) sein. Das Jubiläum 2019 hatte ich verpasst, aber 2020 musste es dann sein. Und mit meinen 64 wurde es ja auch langsam Zeit. Ich werde auch nicht jünger. Frankfurt Marathon 2019 unter 4:00 klappte auch. Im März dann die langen Einheiten bis auf kleine Weh-Wehchen auch gut. Anmeldung eingetütet. Für meine Frau die 4×4-Safari danach perfekt geplant. Jeder Südafrika-Fan kann nachvollziehen, wie wir uns darauf gefreut haben. Für den November war die 3-Pässe-Tour in Nepal mit Abschluss Island Peak (6200m) auch schon detailgeplant.
Und dann kam alles anders. Corona! Und mehr…
Ende März – am Samstag hatte ich die letzte lange Einheit hinter mich gebracht -, an einem Sonntagabend wurde der Two Oceans abgesagt und Südafrika „geschlossen“. Ich war nur noch am Heulen. Ein Traum, den ich mehrere Jahre mit mir getragen habe, geplatzt. Und die Safari natürlich mit.
Die Steigerung kam dann Anfang Mai. Corona-bedingt wurde mein aktuelles Projekt als IT-Freiberufler gestoppt. Mein letzter Projekttag war der 30. April. Am Tag der Arbeit (das war ein Freitag) schöne 15km gejoggt. Danach in der Badewanne überrascht eine erhebliche Schwellung meines rechten Hodens festgestellt. Carsten (mein Arzt) meinte, dass das harmlos sei, vielleicht mal eine Ibu einwerfen. Sonntag aber noch keine Besserung, Montag Urologe und MRT, Dienstag Zweitdiagnose in der Uniklinik, Mittwoch operiert. Gewebeuntersuchung ergab ein Non-Hodgkin-Lymphom.
Positive Gedanken als Schlüssel
Ohne viel Nachzudenken fing ich an, intensiv zu kommunizieren. Um das Ganze für mich irgendwie einordnen zu können, brauchte ich den Dialog. Meine Frau war ohnehin an meiner Seite, aber auch von Freunden und Familie wurde ich „positiv eingenordet“. „Vielleicht“ wurde aus dem Wortschatz gestrichen. Aus 70% Chance wurde individuell angepasste 100%. „Wenn es einer schafft, dann Du“ habe ich mehrfach gesagt bekommen. Und tatsächlich bin ich felsenfest davon überzeugt, dass eine positive Geisteshaltung die Heilungschancen positiv beeinflusst.
Medizinisch fühlte ich mich in der Uniklinik Bonn in guten Händen. Dennoch kann einem das Herz in die Hose rutschen, wenn während der Chemotherapie 6-8 Beutel auf dem Infusionsständer hängen. Aus Patientensicht ist natürlich die spannende Frage, wie man die Chemotherapie, insbesondere die 2mal Hochdosis Methotrexat verträgt. Hier kommt dann der aktive Sportler ins Spiel. Viele wären damit zufrieden, wenn sich die gängigen Nebenwirkungen (Übelkeit, Durchfall, etc.) in Grenzen hielten. Da hatte ich überhaupt kein Problem. Mein Körper hat das vergleichsweise gut weggesteckt.
Die schwierigste Phase
Zwischen den Zyklen waren immer 3 Wochen Pause, in denen ich natürlich versucht habe, mein Lauftraining wieder nach Möglichkeit aufzunehmen. In der ersten Woche nach einem Zyklus blieb es bei Spaziergängen, danach bin ich aber wieder – von meiner starken Frau begleitet – langsame 10km-Einheiten gelaufen.
Das blieb so bis zum letzten Zyklus – noch einmal die leckere Hochdosis. Dann kam der Absturz. In jeder Hinsicht: Ausdauer, Kraft, Balance, Koordination. Ich habe mich noch nie so fremd in meinem eigenen Körper gefühlt. Alltäglich Dinge wurden zum Kraftakt oder erforderten plötzlich volle Konzentration. Beim Treppensteigen musste jede Stufe erkämpft werden, beim Anziehen musste ich mich irgendwo abstützen, tapsiges Joggen ging über 100m-200m, Hopserlauf ging einfach nicht mehr. Hinzu kamen dann noch massive Ischias-Beschwerden.
Der Weg zurück
Immerhin bekam ich an Weihnachten die Diagnose, dass ich „clean“ bin. Anfang Januar, also 2 Monate nach dem letzten Zyklus habe ich mich dann in stationäre Reha begeben. Mental für mich der Startschuss, wieder „anzugreifen“. 4 Wochen den Fokus ausschließlich darauf zu richten, wieder körperlich auf den Damm zu kommen, war genau das richtige. Zusammen mit der vielseitigen und kompetenten Unterstützung des Klinik-Personals und ersten kurzen Laufeinheiten konnte ich auf allen Gebieten eine Besserung feststellen.
Nach dem Klinik-Aufenthalt habe ich mich bei einer ambulanten Reha-Einrichtung angemeldet, zu der ich nun 2mal pro Woche gehe. Zusammen mit meinen Laufeinheiten (3,5/Woche, je 10km) geht es nun gefühlt sehr gut aufwärts.
Fazit: Die Fortschritte sind nahezu täglich spürbar, aber dennoch liegt noch ein langer Weg vor mir. Hier ist der Ausdauersportler in mir gefragt. Und leider gehöre ich durch die Chemotherapie aktuell zur Hochrisikogruppe, da meine Immunsystem dadurch auf nahe Null gebracht wurde. Als positive Erfahrungen kann ich aber festhalten:
- Der Ausdauersport verhindert zwar keine Krebserkrankung. Die Aussichten, gut durch die Therapie zu kommen, sind aber sicher deutlich besser.
- Von elementarer Bedeutung ist der eigene positive Mindset, gestützt durch ein optimistisch denkenden soziales Umfeld. Pläne schmieden, nach vorne denken.
- Geduld mit sich selbst haben. Das fällt mir sicher am schwersten, vielleicht probiere ich es doch noch mit Yoga.
Im Rückblick kann ich für mich nur festhalten, dass eine Krebserkrankung ein gravierender Einschnitt, aber nicht das Ende sportlicher Aktivitäten ist.
2 Antworten auf „Helmut Rau: Der Weg zurück nach einer Krebserkrankung“
Ich gratuliere dir. Das war stark!
Ich bin auch Ausdauersportler habe 2002 erfahren, dass ich an einem unheilbarem Krebs erkrankt bin. Heute 2021 bin ich immer noch auf dieser Welt. Treibe immer noch Sport trotz meinen 83 achtzig Jahren. Langlauf, Ausdauerläufe, Radfahren und Schwimmen. In dieser Zeit als Krebspatient konnte ich trotzdem Erfolge feiern Wm, Em und Schweizermeistertitel waren meine Resultate. Nicht den Kopf in den Sand stecken dann kommt alles gut