Du bist so diszipliniert! Ich werde immer wieder gefragt, wie ich es schaffte, meinen inneren Schweinehund regelmässig zu überwinden und konsequent zu trainieren. Meine Antwort ist immer die Gleiche. Ich musste ihn nicht überwinden, weil es keinen inneren Schweinehund gibt!
Der Begriff macht mir sowieso Bauchschmerzen, da er im Dritten Reich entstanden ist. Die Soldaten mussten damals ihren „inneren Schweinehund“ für ihre Gräueltaten überwinden.
Keine Lust
Du schaust zum Fenster hinaus und stellst fest, dass es heftig regnet. Auf deinem Trainingsprogramm steht ein Longjog. Bei diesem Wetter verspürst du wenig Lust zum Laufen. Auf dem Sofa mit einem warmen Cappuccino und einem guten Buch ist es doch viel gemütlicher. Doch eigentlich solltest du ja …
Kommt dir diese Situation bekannt vor? In solchen Fällen haben Verstand und das Unterbewusstsein unterschiedliche Bedürfnisse. Das ist ein Motivkonflikt.
Eine Sache der Bewertung
Alle deine Erfahrungen speicherst du nach einem einfachen Prinzip mit einer Bewertung in deinem Unbewussten. Die Erfahrung war gut für dich, dann wird diese mit einer positiven Emotion (Affekt) in deinem „Belohnungssystem“ gespeichert. War es eine schlechte Erfahrung, hinterlässt diese eine negativen Emotion im „Angstsystem“.
Dein Unbewusstes lebt den Moment (im Hier und Jetzt) und hat nur ein Ziel: Psychisches Wohlbefinden. Deshalb will dich dein Unbewusstes vor Dingen bewahren, die schlecht für dich sind. Bei garstigem Wetter zu laufen ist nicht unbedingt das, was mit Wohlbefinden verbunden wird. Das muss vermieden werden!
Mit dem Verstand kannst du dein Unbewusstes zu etwas zwingen, das es gar nicht möchte, und an die Leine nehmen. Die Psychologen nennen das Selbstkontrolle. Es wird immer wieder passieren, dass du dich für ein ungeliebtes Training „disziplinieren“ musst. Disziplin (Selbstkontrolle) ist jedoch eine suboptimale Form von Selbstmanagement, die vor allem für langfristige Ziele in höchstem Masse ungeeignet ist. Deshalb sollte sie sparsam eingesetzt werden. Disziplinierst du dich regelmässig über einen längeren Zeitraum, wirst du den Spass am Laufen sehr schnell verlieren.
Es macht also wenig Sinn, dein Unbewusstes als „inneren Schweinehund“ zu bezeichnen und diesen zu bekämpfen und zu disziplinieren. Denn es ist die wichtigste Ressource, die du hast.
Warum machst du dein Unbewusstes nicht zu deinen (Trainings-)Partner und holst es mit ins Boot?
Das Unbewusste muss ins Boot
Eine weitaus bessere Variante ist es, wenn du das Unbewusste ins Boot holst. Dazu gibt es verschiedene Varianten. Du kannst es beispielsweise mit einer positiven Zukunftsaussicht ins Boot locken. „Wenn wir das Training durchziehen und beim Marathon gut vorbereitet sind, dann können wir ‚locker‘ eine neue Bestzeit laufen. Wir werden das ‚Runner’s High‘ richtig auskosten und hinterher eine schöne Party feiern.“
Weil diese Aussicht für dein Unbewusstes sehr verlockend ist, bekommst du es damit ins Boot. Das momentane Bedürfnis nach Wohlbefinden wird in den Hintergrund gestellt. Menschen sind nämlich die einzigen Lebewesen, die eine Belohnung aufschieben können.
Aber Achtung!
Als Läufer ist es entscheidend, dass du deinen Körper gut wahrnimmst und eine (Wetter-)Situation richtig einschätzen kannst. Ein Trainingsprogramm auf Biegen und Brechen durchzuziehen, machen nur schlechte Sportler. Damit kannst du nur verlieren.
Langfristig wirst du damit die Lust am Laufen verlieren. Im schlimmsten Fall kann das zu Verletzungen, chronischen Beschwerden und längeren Ausfällen führen.
Verstehe mich nicht falsch. Es braucht regelmässiges Training, wenn du Wettkämpfe mit einem klaren Ziel läufst. Dann wirst du auch ab und an an deine Grenzen kommen und vielleicht auch einmal darüber gehen müssen, damit sich der gewünschte Trainingseffekt einstellt. Aber …
Gute Sportler spüren ihren Körper und passen ihren Trainingsplan bei Bedarf ihrem Befinden oder den Wetterbedingungen an. Der running.COACH ist flexibel und stellt sich auf dich ein. Bist du es auch?
Fazit
Den inneren Schweinehund kannst du nicht bekämpfen, weil es ihn nicht gibt! Gehe sparsam mit Selbstkontrolle um, nimm deinen Körper wahr und sei flexibel. Dann ist es auch nicht verkehrt, wenn du einmal ein Training ausfallen lässt und deinen Trainingsplan deinem Befinden oder den äusseren Bedingungen anpasst.
Entscheide selber, was gut für dich ist!
Nutze deine Möglichkeiten.
Martin
PS: Ich bin übrigens der Meinung, dass mit dem Unbewussten im Boot alles ein wenig einfacher geht.
Martin Feigenwinter ist Sport-Mentaltrainer und Olympionike im Eisschnelllaufen und bloggt auf feigenwinter.com. Er unterstützt Athleten dabei, am Tag X ihr volles Leistungspotenzial abzurufen.
Athleten profitieren von seiner persönlichen Erfahrung aus 15 Jahren Leistungssport und als Sport-Mentaltrainer. Er ist zweifacher Olympiateilnehmer (1994, 1998) und mehrfacher Schweizermeister & -rekordhalter im Eisschnelllaufen. 1998 belegte er bei der Einzelstrecken-Weltmeisterschaft den 7. Rang über 10.000 Meter. Mit der gelaufenen Zeit schaffte er den Sprung in die Top 10 der Weltrangliste aller Zeiten.